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Alle unter einem Dach

Bei Co-living und Co-housing geht es nicht nur um das reine Zusammenleben, sondern oft auch um das gemeinsame Arbeiten und die produktive Entfaltung.

Ob Studenten-WG oder Großfamilien mit drei bis fünf Generationen im selben Haushalt, die Vorteile des Zusammenlebens sind nicht neu. Gerade in den letzten Jahren, vermehrt nach der Wirtschaftskrise Ende der 2000er, nahm die Bedeutung von leistbarem Wohnen stark zu. Dabei soziale Aspekte nicht zu kurz kommen zu lassen, ist zudem eine Form des Widerstands gegen die zunehmende Anonymisierung in größeren Ballungsräumen. Der Mensch ist nun mal ein geselliges Lebewesen, das zur vollständigen Glückseligkeit den Kontakt zu seinen Mitmenschen aufrechterhalten will. So wuchs der Bedarf nach neuen Wohn(raum)konzepten und fand bald überall auf der Welt begeisterte Nutzer und Unterstützer.

 

Co-living & Co-housing: Mehr als nur moderne Wohngemeinschaften!

Am Dienstag, den 19. Mai 2020 um 19:30 Uhr findet unser zweiter Online-Stammtisch zum Thema „Co-Housing – Modernes Wohnen, zeitgemäß Bauen & Leben“ statt. Die Chancen und Perspektiven des Co-Livings und Co-Housings für Südtirol und insbesondere den Vinschgau sollen dort erörtert werden; um inzwischen ein wenig Information (und Inspiration) zum Thema zu liefern, haben wir uns ein wenig in der Welt umgesehen und interessante Umsetzungen der beiden Konzepte zusammengetragen.

 

 

Zusammenleben mit System

Der beiden Konzepte deshalb, da Co-Living und Co-Housing zwar inhaltlich eng verwandt sind, jedoch unterschiedliche Ausprägungen und Wurzeln haben.
Das Co-Living ist eine relativ junge Erfindung, die den Fokus nicht nur auf das Zusammenleben, sondern oft auch das gemeinsame Arbeiten und die produktive Entfaltung legt. Eine nahtlose Mischung aus Coworking und Wohngemeinschaft, wenn man so will. Der gemeinsame Arbeitsplatz wird zum gemeinsamen Lebensraum und die Coworker zu Mitbewohnern. Der mit Abstand bekannteste Vertreter des Co-Livings dürfte die Rainbow Mansion http://rainbowmansion.com/ in Kalifornien sein, die bereits 2006 von fünf NASA-Ingenieuren gegründet wurde und, mit wechselnden weiteren Mitbewohnern, als Vorzeigeprojekt des gemeinsamen Lebens und Arbeitens gilt. Seitdem haben sich jedoch auf der ganzen Welt ähnliche Lebens-Arbeits-Räume entwickelt, die mit ihren ganz speziellen Eigenheiten glänzen.

Das Co-Housing gibt es in der einen oder anderen Form bereits seit den 1960er Jahren, als die ersten Versuche in Dänemark gestartet wurden. Es bezeichnet prinzipiell die Koexistenz mehrerer Bewohner und -gemeinschaften mit geteilter Nutzung von Lebensräumen wie Gärten, Gemeinschaftsräumen oder Sportstätten. Im Gegensatz zum Co-Living besteht kein Fokus auf das Zusammenarbeiten (wobei dies natürlich möglich ist). Oft genug wird es von Familien und/oder Senioren und/oder Freunden mit ganz unterschiedlichen Berufswegen genutzt.

Wirklich in einen Topf werfen kann man auch die verschiedenen Projekte innerhalb der beiden Konzepte nicht, zu unterschiedlich sind Zielgruppen, Ausstattung, Größe und Geschäftsform der Umkostenabrechnung. Doch die Gemeinsamkeit, die sie haben, ist das Infragestellen von gängigen Wohnformen und das Aufzeigen von neuen Ideen.

Der wahrscheinlich berühmteste Coliving Space Europas wurde 2014 gegründet und befindet sich in Dänemark. Das Nest Copenhagen ist ein Appartement-Komplex aus vier Wohnungen mit jeweils fünf bis sechs Schlafzimmern, zwei Bädern und einer voll ausgestatteten Küche. Putzservice und allfällige Kosten sind in der Miete inbegriffen, gekocht und generelle Ordnung gehalten wird selbst. Einige Besonderheiten hat das Nest jedoch, die es von vergleichbaren Strukturen unterscheidet: Zum einen ist es ein Non-profit; Einnahmen fließen wo irgend möglich wieder ins Nest zurück. Zum anderen die Nutzung der Wohnungen: Die engste Verbindung besteht natürlich zu den eigenen „richtigen“ Mitbewohnern im selben Appartement, aber jeder besitzt einen Universalschlüssel, der auch die anderen drei Wohnungen öffnet und regen Kontakt zum Rest des Hauses ermöglicht. Zudem verpflichtet man sich als Nest-Bewohner, mindestens einmal in der Woche mit den eigenen, und jeden zweiten Sonntag im Monat mit allen Mitbewohnern, zu essen und sich auszutauschen. Auch wird viel Wert darauf gelegt, dass jeder sein Wissen und seine Fähigkeiten in seinem jeweiligen Fachbereich für die anderen zur Verfügung stellt, wo es denn gebraucht wird. Events, Vorträge und offene Diskussionen tun ihr Übriges zum regen Gedankenaustausch. Für Anwärter auf einen Platz im Nest gibt es eine Warteliste, sobald einer der Mitbewohner auszieht wird man benachrichtigt und für ein lockeres Vorstellungsgespräch zum Essen eingeladen.

Ein etwas permanenteres Konzept als das unregelmäßige Kommen und Gehen im Nest befindet sich im Norden von Cambridge in Großbritannien. Das Projekt Marmalade Lane Cohousing erstreckt sich über ein Grundstück mit 42 unabhängigen Einheiten, die von den Eigentümern vor Baubeginn erworben und, ebenso wie die Gemeinschaftsflächen, aktiv mitgestaltet wurden. Der 8600 Quadratmeter große Gebäudekomplex verfügt über viele verschiedene Gemeinschaftsbereiche und -einrichtungen: einen Gemüsegarten, ein Spielzimmer für Kinder, eine Abfall- und Recyclingzone, das Gemeinschaftshaus mit drei Schlafzimmern (die von den Bewohnern als Gästezimmer für Besucher gebucht werden können) und noch einiges mehr. Herkunft und Alter der Bewohner von Marmalade Lane sind bunt gemischt: 11 verschiedene Nationalitäten finden sich hier, aufgeteilt auf acht Familien mit insgesamt 14 Kindern, sieben Singles, 10 Paare und vier alleinstehende Rentner. Platz ist übrigens noch genug, ab rund 285.000€ starten die Preise für ein Haus in der Marmalade Lane. Auch in China und Japan finden sich vermehrt Co-Housing-Siedlungen dieser Art, oft mit Zugang zu den Gemeinschaftsflächen auch von der Straße. So kann ein noch größerer Gemeinschaftssinn gefördert werden, indem man auch die Öffentlichkeit in die Freizeitgestaltung miteinbezieht.

Die Genossenschaft Kalkbreite in Zürich in der Schweiz verfolgt diesen Ansatz und denkt ihn sogar noch weiter. Das 2014 über einem Straßenbahndepot errichtete Gebäude beherbergt ca. 250 Personen in 97 Wohneinheiten. Es verfügt daneben aber noch über 5.000 Quadratmeter kommerzielle Gewerbefläche, eine Frühstückspension und einen öffentlichen Innenhof. Einst eine recht heruntergekommene Gegend, ist das Projekt heute wunderschön gelegen mit einem Kino, Restaurants und sogar einem Blumenladen direkt im Gebäude. Die Miete ist zudem merklich billiger als für durchschnittliche Wohnungen in anderen Vierteln der Stadt.

Das vielleicht ambitionierteste Projekt, das wir hier vorstellen möchten, sprengt jegliche Dimensionen anderer Co-Living und Co-Housing Spaces bei weitem. Der Collective Old Oak Co-Living Complex im Westen Londons ist der weltgrößte Bau dieser Art. Mit fast 550 Schlafzimmern auf elf Stockwerken ist es fast doppelt so groß wie das bisher größte vergleichbare Projekt. Die Vision der Betreiber ist nichts anderes, als dass die Bewohner das Gebäude nicht mehr verlassen müssen, wenn sie das wollen. Denn mit u.a. einem Restaurant, Kino, Fitnessstudio, Spa, Waschsalon und nicht zu vergessen einem riesigen Coworking Space direkt im Haus können jegliche Bedürfnisse vor Ort gestillt werden. Wer nun glaubt, das Gebäude sei eine monumentale, anonyme Mietskaserne, der kann beruhigt sein: Der Austausch mit den Mitmenschen kommt nicht zu kurz, denn die Schlafzimmer sind (bis auf wenige, etwas größere Suiten) doch recht sozial organisiert. Jeweils zwei davon teilen sich eine kleine aber feine Küche und jedes Stockwerk verfügt über einen großen, gemeinsamen Koch- und Essbereich, in dem über 70 Menschen gemütlich Platz finden. Die Miete ist niedriger als anderswo in der britischen Metropole, und beinhaltet bereits Rechnungen für Wasser und Energie, allfällige Steuern, WLAN sowie einen Concierge-, Reinigungs- und Sicherheitsdienst sowie regelmäßigen Bettwäschewechsel. Dass das Projekt nur ein „profitables Mischwesen aus Studentenwohnheim und Hotel“ sei, weisen die Betreiber entschieden zurück. Man wolle jungen und jung gebliebenen Singles eine Möglichkeit bieten, sich leistbar niederzulassen und ganz auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Bisher scheint das aufzugehen, denn trotz der schieren Größe sind nur wenige Wohnungen im Old Oak momentan frei.

Lösungen dieser Größenordnungen werden wir im Vinschgau und in Südtirol wahrscheinlich so bald keine aus dem Boden schießen sehen. Doch das ist auch gut so, denn Co-Living und Co-Housing soll bei allem Tatendrang Neues zu schaffen immer auch mit den örtlichen räumlichen und sozialen Gegebenheiten harmonieren und sie ergänzen. Wie das funktionieren kann, werden wir am 19.05. mit euch diskutieren!

Coliving, Coworking
17.05.2020