Blog

Musik ohne Grenzen

Wer sich an einem der letzten Mittwochabende zufällig in oder in der Nähe der BASIS aufgehalten hat, dem/der fielen ganz schwungvolle Töne vieler verschiedener Instrumente auf, obwohl gar kein Konzert angekündigt war. Dazu noch herzliches Lachen und aufgeregte mehrsprachige Konversation. Was geht da nur vor im Salotto, geistert es etwa? Nicht ganz:

 

 

BASIS presents: Die Open Stages

 

Dass die Südtiroler (und besonders die Vinschger) Musikszene einige verborgene Schätze zu bieten hat, ist weithin bekannt, doch gibt es immer wieder Bestrebungen, die Vernetzung und den Austausch untereinander noch weiter zu fördern. Eine Reihe von ambitionierten Projekten zu genau diesem Thema geht seit Anfang Oktober über die (zunächst kleine) Bühne. Musiker:innen aus nah und fern treffen sich ungezwungen bei uns im BASIS-Salotto (und bald auch an anderen Orten, dazu gleich mehr), um die Stärkung und Erweiterung einer lokalen Gemeinschaft von Musiker:innen im Vinschgau und Südtirol voranzubringen, ihre Fertigkeiten zu zeigen und im gegenseitigen Austausch zu verbessern und voneinander zu lernen und natürlich einen Heidenspaß an der Musik und dem gemeinsamen Spiel zu haben. Die Vision dahinter ist Musik ohne Grenzen; nationale und regionale, sprachliche, aber auch persönliche Grenzen, die wir uns selbst setzen. Auch innerhalb der Musik soll es keine Grenzen geben; jede:r ist willkommen, jedes Instrument, jede Musikrichtung, ob digital, analog oder irgendwo dazwischen. Die Musik wird kultiviert und aus (und in) der Mitte der Gesellschaft gestärkt, und dabei immer der Zusammenhalt gefördert. Wie erwähnt mittwochabends im BASIS-Salotto, das nächste Mal am 01.11.23 und am 15.11.23 ab 20:00 Uhr; doch gehen die Open Stages nun auch auf große Reise durchs Tal! Am 08.11.23 im Jack&King, am 22.11.23 in der Bar Loki und am 29.11.23 in der FinKa.

 

 

 

Der musikalische Tausendsassa

 

Soweit zu den Open Stages selbst. Doch wer ist der Mann, der sie ins Leben gerufen hat und das Projekt aktiv betreut? Regelmäßige Besucher:innen der BASIS haben ihn sicher bereits bemerkt. Ein junger Mann von mittlerer Statur und dunklem Teint, der dichte, eines altgriechischen Philosophen würdige Bart stets von einem breiten Grinsen zweigeteilt. Je nach Wochentag und Tageszeit entweder mit konzentriertem Blick am Laptop arbeitend, mit lautem Lachen abstruse und interessante Theorien mit Community-Mitgliedern diskutierend, oder in der Gemeinschaftsküche leise summend literweise Hummus rührend. Das ist Dolev Nahoom Sanbira, der jüngste Neuzugang im BASIS-Team. Und wer ihn nicht sieht, der/die hört ihn, wie er entweder Zustimmung mit (bereits perfekt lokalkoloriertem) „Jo, genau!“ ausdrückt, über die grundsätzliche Diskrepanz zwischen köstlichem Speckgenuss und religiösen Ernährungsvorgaben seufzt, oder die musikalische Einladung zum Community Lunch mit fröhlichem Klaviergeklimper untermalt.

 

 

Doch liegen seine Talente nicht nur in der sozialen Bereicherung unserer Struktur, denn er hat auch einiges an musikalischer Erfahrung vorzuweisen. Dolev ist ein 28-jähriger portugiesischer Staatsbürger, der bis vor kurzem in Israel lebte und arbeitete und daneben aktiver Musiker in der lokalen Szene und mit Auftritten im ganzen Land war. Sein Hauptaugenmerk liegt auf der Organisation von Veranstaltungen, Artist Residencies, Musikproduktionen und anderen Initiativen zur Entwicklung und Begleitung von Musikgemeinschaften. Heutzutage versucht er besonders, kreative Grenzen zu überschreiten, indem er Mainstream- und Kunstgenres vermischt und mit gleichgesinnten Künstler:innen zusammenarbeitet.

Im Jahr 2015 begann er sein Musikstudium am Jazz Institute der Rimon School of Music, wo er bis 2017 studierte, um danach an das Berklee College of Music zu wechseln und dort 2018 den Abschluss mit Auszeichnung zu machen. Von 2018 bis 2021 absolvierte er schließlich den Bachelor of Education in Musik am Washington Hill College of Education. Als Musiker hat er an verschiedenen Projekten gearbeitet, darunter Sanbira, ein neues Projekt, bei dem er 2022 drei Singles komponiert, arrangiert und produziert hat. Im selben Jahr arrangierte und produzierte er sechs Singles von ausgewählten Sängern für das Label Kivunim und kreierte 2019 einen Remix für die israelische Band American Igal. Im Jahr 2020 komponierte er ein Stück für eine Klanginstallation, die über sieben in einem Treppenhaus hängende Lautsprecher abgespielt wurde. Er spielte und assistierte auch bei der Produktion des Albums „Awantot“ von Awa Du È.

Im Laufe seiner Karriere hat er mehrere Auszeichnungen und hochdotierte Stipendien erhalten, darunter 2018 den Bill Pierce Award von Berklee für herausragende musikalische Leistungen, 2017 ein Kompositionsstipendium für zwei von ihm komponierte Musikstücke und 2022 von der Independent Creator Foundation des israelischen Ministeriums für Kultur und Sport ein Stipendium für die Produktion einer Musikveranstaltung. Zudem hat er mehrere Veranstaltungen organisiert, darunter das Festival Ba-Bama in den Jahren 2015 und 2016 sowie das Garage Festival in den Jahren 2019 und 2021. Im Jahr 2020 mietete er einen Wohnraum, der während der Covid-19-Pandemie als Wohnsitz für Musiker:innen diente. Während dieses Zeitraums wurden zwei Live-Sessions aufgenommen und eine intime Aufführung mit etwa 40 Zuhörern produziert. Er finanzierte die Raummiete übrigens komplett selbst.

Neben seiner Arbeit als Musiker und Produzent hat er auch Erfahrung im Musikunterricht. So unterrichtete er von 2021 bis 2023 Musiktheorie im Jugendzentrum Kivunim, um jungen Musiker:innen die nötigen Grundlagen für eine weitere Ausbildung zu vermitteln. Ab 2019 unterrichtete er außerdem klassisches Saxophon am Giva’taim-Konservatorium, einer der führenden Musikinstitutionen in Israel.

Er weiß also durchaus, wovon er spricht. Für (voraussichtlich) vier Monate ist er nun in Südtirol und bringt seine Erfahrung in allerlei musikbezogenen Unternehmungen, Veranstaltungsorganisation, Musikproduktion und Communityentwicklung ein, wo immer er nur kann. Unter Beweis stellen konnte er sein Können u.a. bereits eine Woche nach seiner Ankunft im Vinschgau zusammen mit der Bürgerkapelle Schlanders. Und seine Ideen hören nicht auf, denn nach den Open Stages ist bereits eine Serie von Tiny Desk Concerts (also akustischen, intimen Konzerten im kleinen Kreis) geplant, die auch auf Youtube und anderen Plattformen zugänglich gemacht werden. Dank der großen Resonanz dieser angekündigten Events sind auch schon bereits weitere für den Dezember in Planung. Man darf gespannt sein!

Zum Abschluss haben wir uns noch erlaubt, ihn auch einmal persönlich zu Wort kommen zu lassen, anstatt des hier üblichen Fazits. Erzählen könnte er stundenlang, wenn wir ihn ließen, aber um den Rahmen dieses Artikels nicht gar zu arg zu strapazieren, haben wir ihm ein paar Fragen gestellt, die er gern mit der ihm eigenen Lebhaftigkeit beantwortet hat:

(NB: Das Gespräch wurde in englischer Sprache geführt und für die deutsche Version des Artikels übersetzt.)

 

Dolev Sanbira – Das Exklusiv-Interview:

 

Hallo Dolev, danke für deine Zeit. Wie geht es dir? Du klingst etwas heiser, kommt das vom Singen?

(lacht) Haha nein, ich denke es war der Stress der Organisation der Open Stages, kaum zehn Minuten vor der ersten Open Stage war meine Stimme plötzlich weg. Inzwischen geht’s aber wieder.

Eine Frage, die sicher viele unserer Leser beschäftigt: Wie kamst du zu BASIS? Wie verschlägt es einen renommierten Musiklehrer und Musiker aus dem Nahen Osten zu uns in den Vinschgau?

Irgendwann im März verspürte ich das dringende Bedürfnis, Israel zu verlassen und irgendwo neu anzufangen. Schau, die generelle Situation in Israel ist in mehrfacher Hinsicht eher schlecht. Die Lebenshaltungskosten sind nicht zu stemmen, Tel Aviv ist eine der teuersten Städte der Welt. Israel befindet sich in einem ständigen Krieg mit seinen Nachbarländern, und kürzlich erhielt das Land einen der größten militärischen Schläge, die es je erlebt hat. Darüber hinaus scheinen sich die Dinge seit den letzten Wahlen noch weiter zu verschlimmern. Also war ich auf der Suche nach einer Möglichkeit, mein Leben nach Europa zu verlagern. Nachdem ich Motivationsschreiben, Lebensläufe, Portfolios und was weiß ich nicht alles an wer weiß wie viele Menschen übersandt habe, bekam ich dann ein paar Antworten zurück. Eine von ihnen war von Hannes Götsch. Wir hatten ein angeregtes Gespräch und „the rest is history“.

Die ersten paar Open Stages haben bereits mit großem Anklang stattgefunden, was ist dein Fazit? Hat die Anzahl der Teilnehmer:innen und die Abwechslung der Instrumente und Musikstile deine Erwartungen erfüllt, wenn nicht sogar übertroffen?

Auf jeden Fall übertroffen… Weißt du, ich habe mein Bestes getan, um mit so vielen Musiker:innen wie möglich in Kontakt zu kommen. Ich habe sogar mit der Bürgerkapelle von Schlanders gespielt! Aber ich hätte mir nicht vorstellen können, wie viele Leute zu den Open Stages kommen würden. Wir hatten so viele verschiedene Instrumente, wir hatten einen Posaunenbläser, eine Trompete, und sogar eine Geige. Ich meine… das war einfach sagenhaft. Unser Ziel ist es jetzt, dass jede:r im Vinschgau weiß, dass es die Open Stages gibt. Wir hoffen, dass wir bei den nächsten Sessions 80 Leute (Musiker:innen und Publikum) erreichen – und es sieht gut aus.

Wie gehst du vor, um Teilnehmer:innen zu finden? Die Open Stages sind natürlich öffentlich zugänglich für jede:n, aber wir haben auch mitbekommen, dass du dich mit vielen Musiker:innen im ganzen Tal und darüber hinaus in Verbindung gesetzt hast.

Das Ganze ist recht simpel: Man bittet jemanden um alle Handynummern oder andere Kontaktdaten von Musiker:innen, die er/sie kennt. Dann bittet man jeden der Kontakte, die man erhalten hat, wiederum um alle Kontaktdaten von Musiker:innen, die er/sie kennt. Auf diese Weise hatte ich bis Ende September eine Excel-Datei mit über 150 Kontakten von lokalen Musiker:innen. Nicht jede:r von ihnen wird natürlich bei unseren Projekten mitmachen wollen, aber jeder dieser Kontakte hat vielleicht das Potenzial, uns später noch einmal irgendwie zu helfen.

Und ich besteche die Leute mit selbstgebackenen Keksen. Das ist ein fester Bestandteil des Konzepts!

Welche weiteren Pläne gibt es für die Open Stages, und spätere Teile des Projekts?

Im November wird die Open Stage durch den Vinschgau reisen. Loki, Jack&King und die FinKa veranstalten jeweils eine Session, der Rest bleibt in der BASIS. Weiterhin immer mittwochs um 20:00 Uhr wie gewohnt. Außerdem haben wir einen offenen Aufruf für Live-Sessions in der BASIS gestartet. Wir suchen Südtiroler Bands und Singer-Songwriter:innen, die Lust haben, eine Live-Session in unseren Strukturen in Schlanders, Naturns oder Mals zu filmen. Wir wollen unsere verschiedenen Veranstaltungsorte im Vinschgau vorstellen und mit Musiker:innen aktiv zusammenarbeiten. Die Live Sessions schlagen dabei Fliegen mit einer Klappe – gute Werbung für BASIS und ein professionell gefilmtes und aufgenommenes Live-Set für lokale Musiker:innen.

Hast du selbst mit deinem Saxofon bei den Open Stages mitgemacht, oder siehst du dich hier ausnahmsweise mehr in einer administrativen Rolle?

Beides… Es gibt ein bestimmtes Gefühl, das ich bei den Open Stages vermitteln möchte. Wenn mir vorkommt, dass nicht alles so anläuft wie es sollte, dann nehme ich meistens das Saxophon oder das Klavier und bringe ein bisschen Leben hinein. Wenn ich sehe, dass alles in Ordnung ist und die Musiker:innen das ganz gut allein managen, dann übernehme ich die administrative Rolle. Ich schaue ins Publikum, ob jemand spielen möchte, und koordiniere den Zeitplan, wer auf die Bühne geht und wer kurz pausiert, sodass jede:r eine Chance hat, auch einmal aufzutreten. Das läuft ganz gut so.

Danke für deine Antworten, und viel Glück für dein weiteres Schaffen!

 

 

Die Open Stages stehen allen offen! Interessierte an der Teilnahme (oder der Organisation von ähnlichen Open Stages und Projekten) können sich jederzeit gerne melden unter: +39 342 322 8442 (Telefon), +97 252 328 2614 (Whatsapp) oder E-Mail dolev.ns@gmail.com

Übrigens: Der Verein BASIS Vinschgau Venosta freut sich jederzeit über neue Mitglieder, ob interessierte Privatpersonen, Kunstschaffende, Handwerker:innen oder Unternehmen. BASIS und seine Mission lebt von der vielfältigen Community, die uns umgibt, und wer sich, auch ohne Mitgliedschaft, auf die eine oder andere Weise einbringen möchte, ist jederzeit herzlich willkommen! Kommt vorbei oder lasst von euch hören unter hoi@basis.space!

Allgemein, Kultur, Veranstaltungsort
28.10.2023
Ben Ratschiller