Blog

Lokale Mensen: A Gmahnte Wies? – Ein Nachbericht

Gemeinschaftsverpflegung in Südtirol ist ein nicht zu unterschätzender Zweig der Gastronomie. Schulen, Kindergärten, Senioren- und Pflegeheime, Krankenhäuser, aber vielerorts auch Gemeindebedienstete, größere Firmen und andere Strukturen vertrauen auf die Verköstigung hunderter hungriger Personen. Doch reicht bloßes Sattwerden allein nicht (mehr).

 

 

 

Ganz im Gegenteil. Viele Faktoren müssen berücksichtigt werden. Allergien und andere Präferenzen, persönliche Vorlieben und Geschmack, gesunde Abwechslung und dergleichen mehr. Und: woher sollen die riesigen benötigten Mengen an Lebensmitteln bezogen werden? Im Sinne der Nachhaltigkeit natürlich aus der Nähe, von den Produzent:innen ums Eck, und wo irgend möglich in Bio-Qualität und zu vernünftigen Preisen.

Ob diese Thematik bereits eine „gmahnte Wies“ (Südtiroler Dialekt; „ein leicht erreichbarer Erfolg“ und/oder „eine beschlossene Sache“) ist, versuchten wir am Donnerstag, 04.07.24 von 14 bis 22 Uhr bei der Veranstaltung „Lokal produzieren für unsere Mensen. Vergabe & Einkauf. A gmahnte Wies?” herauszufinden, welche auch heuer wieder in Zusammenarbeit mit dem SKV (Südtiroler Köcheverband) organisiert wurde. Das Event fand zum dritten Mal insgesamt und zum zweiten Mal als Eigenveranstaltung vor Ort in der BASIS statt. In der heurigen Auflage ging es also nun um das Thema der Gemeinschaftsverpflegung in den öffentlichen und privaten Mensen und somit im Besonderen darum, wie man die öffentliche Ausschreibung und den Einkauf so gestalten kann, dass lokale, gesunde Lebensmittel auf den Tisch kommen und die lokalen Kreisläufe gestärkt werden.

Viele lokale Print- und Onlinemedien (u.a. Vinschger Wind, Vinschger, salto, Dolomiten) haben bereits lobend über das Event berichtet, doch lassen wir uns wie üblich einen detaillierten eigenen Nachbericht nicht nehmen. Dieser findet sich weiter unten, doch lässt sich bereits jetzt zusammenfassend sagen: Es gibt noch einige Luft nach oben, und die Gründe dafür liegen bei weitem nicht nur an den Kosten.

 

 

Best practices, Herausforderungen, Arbeitsalltag

 

Auch heuer hatten sich viele Interessierte eingefunden, die zu Beginn der Veranstaltung herzlich von Projektkoordinatorin Ghali Egger (BASIS Vinschgau Venosta), Gerda Platzgummer (Vorstand BASIS Vinschgau Venosta) und Roselinde Gunsch (Präsidentin der Bezirksgemeinschaft Vinschgau) begrüßt wurden. Letztere rief auch gleich in Erinnerung, dass die Ernährung ein wichtiger Teil der Klimaschutzstrategien der Gemeinden sein kann und muss. Im Anschluss als Auftakt des Rahmenprogramms ein ungewohnter, künstlerischer Zugang zum Thema, denn die Fakultät für Design und Künste der Freien Universität Bozen eröffnete im Anschluss ihre Ausstellung „A is for Apple – From Fruit to Cultural Landscape“.

Ein Hauptaugenmerk der Veranstaltungsreihe ist zweifelsohne der Austausch und Wissenstransfer, und diesen gab es bei den anschließenden Fachvorträgen zur Genüge:

Peter Defranceschi (Direktor ICLEI Brüssel und Koordinator des globalen Ernährungsprogramms CityFood) sprach sich dafür aus, dass die politischen Rahmenbedingungen für eine sinnvollere Vergabe der Ausschreibungen und Zulieferer durchaus gegeben seien; es brauche nur klare(re) Zielvorgaben von Gemeindeverbänden und Land. Zudem stellte er die Ortschaft Bordogna in der Lombardei vor, die erfolgreich eine nahtlose Zusammenarbeit von Politik, Institutionen, Verwaltung und Mensen in die Wege geleitet hat und nun als anschauliches Praxisbeispiel für ähnliche Bestrebungen dienen kann. Die Mensen von Vöran und Schlanders wurden, auch wenn es noch Verbesserungspotenziale gibt, ebenfalls lobend erwähnt. Auch resümierte er die Ergebnisse der Tagungsreihe „Mens(a) sana in corpore sano“ für nachhaltigere Gemeinschaftsverpflegung, die ebenfalls seit drei Jahren Synergien zwischen Angebot und Nachfrage bei der lokalen nachhaltigen Belieferung von Mensen zu schaffen versucht.

Daraufhin erklärte Alberto Ritucci (Verantwortlicher für Schulverpflegung und Ernährungsbildung der Stadt Turin) die Bestrebungen seiner Stadt, die Gemeinschaftsverpflegung von Grund auf nachhaltiger zu gestalten. 2022 hat sich Turin entschieden, die Schulausspeisung, in der täglich rund 40.000 Kinder und Jugendliche essen, nachhaltiger zu gestalten, d.h. 100% biologisch und (bis dato) rund die Hälfte km-0-Produkte (Radius von 200 Kilometern von den Kochzentren), Tendenz steigend. Dieser Erfolg wurde zum einen erreicht durch eine zentralisierte Versorgung von Seiten der Gemeinde, die dann an die Schulen ausliefert (mit Vor-Ort-Küchen für spezielle Ernährungsbedürfnisse); zum anderen durch strenge, die EU-Vorgaben noch übertreffende Kriterien bei der Ausschreibung, Hand-in-Hand-Sensibilisierungskampagnen für gesunde, abwechslungsreiche Ernährung sowie Umfragen und Monitoring der Vorlieben der Kinder und Anpassung des Einkaufs (und somit der Kosten) daran. Das Projekt läuft noch bis 2027, doch gibt es bereits jetzt sehr viel, das Südtirol davon lernen kann.

Nicht als Vortrag, aber als offenes Gespräch gestaltete sich schließlich der Austausch mit Ivonne Daurù (Ernährungswissenschaftlerin und Fachberaterin für nachhaltige Gastronomie-Großküchen und Gemeinschaftsverpflegung) und Heidi Altstätter (diplomierte Diätköchin und langjährige Köchin der Schulmensa der Marktgemeinde Schlanders). Daurù skizzierte den Ablauf einer Beratung (Ziele definieren, Maßnahmen festlegen, Treffen mit den Köch:innen der Struktur, weiterführende Betreuung), während Altstätter davon berichtete, wie es ist, täglich mehrere hundert Essen für verschiedenen Altersgruppen, Bedürfnisse und Ernährungsanliegen zu kochen, mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen. Beide zeigten auch Hindernisse bei der Umsetzung einer nachhaltigen Verpflegung auf; die Gemeinden fördern, wo sie können, doch es fehle trotzdem an Personal und Zeit; und auch der nachhaltige Einkauf gestalte sich oft schwieriger als geplant. Bei Ausschreibungen müssten zwei Drittel des Einkaufs bio sein, das ist gesetzlich vorgeschrieben, doch im aktiven Arbeitsalltag ist Regionalität wichtiger als Bio-Qualität, auch da das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und gesunde Ernährung noch nicht so in Südtirol angekommen sei wie im Rest Italiens und es demnach schwerfiele, die Mehrkosten und den Aufwand zu rechtfertigen. Die Vergabe sei einfach verwinkelter als nötig und der Schulterschluss mit lokalen Kleinproduzent:innen zwei Dörfer weiter oft komplizierter als mit weiter entfernten Großlieferanten. Doch man gebe sich Mühe und sei auf dem richtigen Weg. Durch einen Denkanstoß aus dem Publikum wurde übrigens auch die Geschlechterverteilung in den verpflegenden Berufen intensiv diskutiert.

 

 

Lokale Produzent:innen auf Du und Du

 

Während jüngere Besucher:innen sich nun dem vom Elki Schlanders ausgerichteten Kinderprogramm mit Bastel- und Rätselspaß widmen konnten, standen beim Informationsmarkt im Garten der BASIS wie schon im letzten Jahr die Produzent:innen bzw. ihre verschiedenen Produkte im Rampenlicht. Verkostungen, Verkauf und Austausch bekam man an den insgesamt zwölf Ständen zuhauf angeboten, diesmal von:

Auch die lokale Logistik-Plattform SLON – Kooperationslogistik.Smart (siehe auch Artikel vom letzten Jahr) informierte über ihre Tätigkeiten und Fortschritte.

 

 

Das Highlight des Abends: Die Diskussionsrunde

 

Schon allein nach diesem Teil des Events könnte man von einem vollen Erfolg der heurigen Ausgabe sprechen, doch wäre es keine „Gmahnte Wies“ ohne die interaktive Diskussion am Abend zur Vertiefung der jeweiligen Thematik, ebenso unterhaltsam wie kritisch moderiert von Evi Keifl. Dieses Mal diskutierten Anita Tscholl (Präsidentin Seniorenwohnheim “Martinsheim” Mals), Ivonne Daurù (s.o.), Stefan De March (Elternvertreter Landesbeirat der Eltern), Thomas Oberhofer (Obmann VI.P) und Heike Mayr (Südtiroler Bauernbund, in Vertretung für Evelyn Gallmetzer, welche krankheitsbedingt nicht anwesend sein konnte). Dass die Zusammenarbeit von lokaler Landwirtschaft und Mensen noch keine gmahnte Wies ist, stand leider fest; warum genau wurde jedoch eingehend ergründet. Wie kann die Versorgung der Mensen mit lokalen Produkten forciert werden? Welche guten Beispiele gibt es? Wie sehen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die lokale Vergabe aus? Braucht es bzw. gibt es Ernährungspläne der Köch:innen? Welche Hürden bei der Abnahmebereitschaft gibt es? Was ist die Rolle des Geldes bei der Umstellung? Diese und einige Publikumsfragen standen im Raum und wurden in rund eineinhalb Stunden regen Gesprächs erörtert.

 

 

Nach der Einführung und Danksagung an alle Beteiligten durch Ghali Egger (o.), welche auch durch den gesamten Tag führte, übernahm Evi Keifl die Moderation, gab einen kurzen Überblick der Vorträge am Nachmittag, stellte die Beteiligten vor und zitierte die Fakten. Leider nicht sehr viele, denn die letzten gesicherten Zahlen zur öffentlichen Verpflegung stammen aus dem Jahr 2018.

Ersetzt wurden diese von einem Einblick in deren Alltag am Beispiel der Mensa in Mals, die Schüler:innen, öffentliche Bedienstete und Senior:innen in Anspruch nehmen. Individuelle Gesundheitsfaktoren, aber auch Geschmack und Preisgestaltung bringen einige Anforderungen mit sich. Es würden laut Tscholl soweit als möglich lokale Produzent:innen miteinbezogen, doch seien die Preise mit der Zeit merklich gestiegen, ohne die Möglichkeit, dies auf die (fixen) Tagessätze in der Heimbetreuung anzurechnen. Daurù erklärte die Idealvorstellung eines zeitgemäßen Mensaangebots aus Sicht der Ernährungsberaterin: Unabhängig von Rezeptgestaltung und Geschmack sind die fünf Dimensionen, die es abzudecken gilt: Gesundheit, Regionalität, Saisonalität, Erhaltung der Esskultur/Tradition und eben Nachhaltigkeit.

Wie auch schon bei der Diskussion im letzten Jahr (zum Thema Landwirtschaft und Gastro/Hotellerie) wurden im Gesprächsverlauf bald rechtliche Vorgaben und Logistik als große Hürden herausgestrichen. EU-, staatliche und Vorgaben des Landes, jeweils mit Ausnahmen und Sonderregelungen, garantieren zwar Qualität, verkomplizieren aber auch die Abläufe. In der Logistik brauche es dringend mehr lokale Zusammenschlüsse; Genossenschaften und Verbände existierten zwar, seien jedoch oft auf Export ausgelegt statt die lokale Verteilung. Es gibt Bestrebungen, die aber noch zu wenig Zuspruch finden. Bestehende Kanäle sollten effizienter genutzt werden, anstatt neue zu erschließen.

 

 

Ein weiterer Punkt, wie zu erwarten: Der Preis. Kleinbetriebe können mit Großlieferanten nicht mithalten, billigere Nahrungsmittel sorgen aber für Unterstützung von sozialen Missständen in ihren Herkunftsländern. Man müsse nicht über Preis, sondern Wert reden. Was allerdings in der effektiven Umsetzung nicht einfach sei; momentan bezahlen Eltern 4-5€ pro Essen in den Mensen, was kaum die Kosten deckt, in der momentanen Wirtschaftslage aber schon eine Schmerzgrenze für die meisten Eltern darstelle.

Zusammenfassend kristallisierte sich heraus, dass es noch großes Potenzial gibt; Vernetzung (z.B. durch Events wie die Gmahnte Wies) und intensive Zusammenarbeit zwischen Produzent:innen und Abnehmer:innen sind aber das Um und Auf. Vorgaben und Verdienst müssen auf den Bedarf angepasst, Synergien geschaffen, Bürokratie abgebaut und gewisse Mehrkosten zugunsten von Qualität geschultert werden.

 

 

Meisterköche & Musik

 

Nach Ende der Diskussionsrunde luden Chefkoch Roland Hanny, Roland Schöpf und die Jungköche Mattia Tassiello, Bastian Rechenmacher und Gabriel Pircher vom Südtiroler Köcheverband (Foto o.) zum anschließenden Aperitif im Garten der BASIS, untermalt von den wunderbaren Klängen von Fabienne Runggaldier am Piano. Wie auch im letzten Jahr wurden die Häppchen des Aperitifs eigens für die  Veranstaltung kreiert und aus den saisonalen Produkten der anwesenden Marktstände (s.o.) als auch weiterer Produzent:innen, darunter der Pirchhof Schlanders, Roland Gluderer und Karl Perfler, zubereitet. Zwölf verschiedene Kreationen wurden den begeisterten Gästen angeboten, und auch wenn wir den vortrefflichen Geschmack hier nicht wiedergeben können, möchten wir sie doch zumindest vollständig auflisten:

 

 

  • Almbutter (Dornackerhof) | Vinschger Paarl (Karl Perfler) | Gemüseaufstriche (Vinterra)
  • Gepickelte Kohlrabilollis | Knoblauchblüten (Greiterhaus)
  • Fermentierte Beete | Gepickelte Beete | Beetengel (Sunnfolt Kortsch)
  • Bao Buns | Honiglack | Fermentierter Meerrettich & Karotte (Fleisch vom Millnhof, Rettich & Karotte vom Greiterhaus)
  • Geschmorte Oxtailpraline | Karamelisierte Zwiebelcreme (Fleisch vom Millnhof, Zwiebel von Sunnfolt)
  • Pochierter Kalbsleberlolli | Schokolade | Kakao (Kalbsleber vom Millnhof)
  • Iberico Picanha (Pirchhof) | Chimichurri (Sunnfolt) | Vinschger Sauerkraut (Vinterra)
  • Pirchhofei alla Carbonara / Gebeiztes Eigelb / Eigelbcreme (Pirchhof Schlanders) | Guanciale (Dornackerhof)
  • Wagyu-Rind-Tartar (Pirchhof Schlanders)
  • Kobis-Frühlingsrolle (Greiterhaus) | Kalbsherz & Zunge (Millnhof) | Junglauch/Zwiebel/Radieschen (Sunnfolt)
  • Marteller Erdbeere (Roland Gluderer) | Eierlikörzabaione (Oberfrinighof)
  • Birnenknödel | Schokolade | Haselnuss | Amarenakirsche (Paul Grüner)

 

 

 

Nach dieser fürstlichen Verköstigung wurde bei lockerer Abendstimmung noch der bewegende Film “Integration mit Ziegenkäse – Die Geschichte einer Äthiopierin in den Alpen” über Agitu Ideo Gudeta unter freiem Himmel gezeigt.

 

Fazit:

 

Wie schon im letzten Jahr lässt sich insgesamt sagen: Die Veranstaltung war ein voller Erfolg. Zwar ist die Zusammenarbeit zwischen lokalen Produzent:innen und den verschiedenen Spielarten der Verpflegung in den Mensen noch ausbaufähig, doch gibt es Bestrebungen in die richtige Richtung, ein Verständnis für die Anliegen beider Seiten und Initiativen und gesetzliche Rahmenbedingungen, um mehr Nachhaltigkeit und Qualität ohne Kostenexplosionen zu ermöglichen. Die Wies ist bei weitem noch nicht gmahnt, aber ein gutes Stück weiter!

 

 

Die Veranstaltung wurde unterstützt durch Sponsorings der VI.P und Inderst GmbH und durch Produktsponsorings von Paul Grüner und der Fuchs J. GmbH.

 

Bilder: alle © Marco Telfser

 

Gastronomie, Landwirtschaft, lokale Wirtschaft, Nachhaltigkeit
23.07.2024
Ben Ratschiller