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Das war die „Gmahnte Wies“

Südtirol, besonders der Vinschgau, lebt von der Synergie von Landwirtschaft und Gastbetrieben. Erstere braucht Abnehmer:innen, Privatpersonen reichen da nicht aus; Köch:innen brauchen vollwertige Zutaten, um ihre Kunst zu entfalten. Eigentlich klar, dass dies Hand in Hand geschehen sollte, um produktive Arbeit für beide Seiten zu garantieren. Oder?

 

 

 

Nun, so einfach ist das leider noch nicht. Bereits 2022 war eine hochkarätig besetzte Diskussionsrunde zum Thema „Landwirtschaft von morgen – a gmahnte Wies?“ im Rahmen der Sustainability Days Südtirol Alto Adige über die Bühne gegangen. Während diese sich grundsätzlich mit den Chancen und Risiken der Landwirtschaft der Zukunft beschäftigte, stand nun am Freitag, 08.09.23, von 14 bis 21 Uhr bei uns in der BASIS Vinschgau Venosta in Schlanders explizit die Zusammenarbeit zwischen Landwirt:innen und Gastbetrieben bzw. Hotellerie auf der Tagesordnung. Die heurige Veranstaltung „Landwirtschaft & Gastronomie. A gmahnte Wies?”, organisiert von BASIS Vinschgau Venosta und dem Südtiroler Köcheverband (SKV), legte noch einmal verstärkten Fokus auf den Verkauf, die Weiterverarbeitung und die verschiedenen Konsument:innen und Zielgruppen der erzeugten Produkte. Das erklärte Ziel war, sowohl die Zusammenarbeit von Landwirt:innen und Gastbetrieben und Hotellerie zu stärken, um mehr Lokales und Regionales auf den Tellern zu präsentieren, als auch die Vielfalt der lokalen Produkte wertzuschätzen und sichtbar zu machen. Was auch erreicht wurde, wie die positiven Rückmeldungen der Organisator:innen, Besucher:innen und Diskussionsteilnehmer:innen, aber auch diverse Online- und Printmedien wie der Vinschger Wind, Salto.bz und die Tageszeitung Dolomiten unterstreichen konnten. Aber alles der Reihe nach:

 

 

Landwirt:innen im Rampenlicht

 

Ohne die produzierenden Betriebe gibt es auch keine Produkte zur Verarbeitung, das liegt nun mal auf der Hand. Die Mühe, aber auch die liebevolle Sorgfalt, die dabei in Anbau bzw. Herstellung einfließt, konnten diese ab 14 Uhr anschaulich und praxisnah durch einen bunten Informationsmarkt aufzeigen. Verkostungen, Direktverkauf und Informationen gab es für Interessierte an den 13 Marktständen zuhauf. Am Markt beteiligten sich im Detail:

  • Greiterhaus (Obst und Gemüse)
  • Vinterra Sozialgenossenschaft (Gemüse und Getreide)
  • Vinschger Erde (Getreide)
  • karthein.gut (Gemüse und Safran)
  • Sunnfolt (Gemüse)
  • Da Genussgarten (Gemüse und Blumen)
  • Bürgergenossenschaft Obervinschgau – BGO (u.a. Käse und (verarbeitete) Produkte der Mitgliedshöfe)
  • Kräuterschlössl & Bio-Manufaktur Gluderer (Kräuter, Blüten und verarbeitete Produkte)
  • Beerig – Vinschger Premium Beeren (Beeren, Säfte und Marmeladen)
  • EVA Bio (Apfelsaft und Apfelsaftmischungen)
  • Softladele Wallnöfer (Bio-Apfelsaft)
  • Millnhof (Fleisch und Fleischprodukte)
  • Befehlhof (Bergweine)

Abgerundet wurde das Nachmittagsprogramm zum einen durch weitere informative Angebote, u.a. Impulsvorträge über verschiedene Projekte zur Direktvermarktung sowie einen Kurzfilm der Farmfluencers of South Tyrol über den Hof des Wandels in Eppan. Zum anderen durch genussvolle Begleitung dank eines Grußes aus der Küche aus den Produkten der ausstellenden Produzent:innen und zusätzlich der Betriebe Dornackerhof, Ziegen im Winkl, Kirnig – Südtiroler Edelpilze und Roland Gluderer, kreiert von Mitorganisator Roland Hanny sowie Mattia Tassiello, Gabriel Pircher, Roland Schöpf und Martin Pinggera.

Alles in allem wäre dieser Teil der Veranstaltung allein schon ein voller Erfolg, doch ist der aktive Austausch zwischen den beteiligten Branchen ein wichtiger Teil des Konzepts, weshalb ab 19:00 zur interaktiven Gesprächsrunde unter dem Titel „Vom Kopf auf die Fiaß, von di Händ‘ ins Herz“ geladen wurde.

 

 

Interaktive Gesprächsrunde: A gmahnte Wies?

 

Der Spruch „a gmahnte Wies“ bedeutet im Südtiroler Dialekt in etwa „ein mit wenig Aufwand erreichbarer Erfolg“ und/oder „ein perfekt für nachfolgende Herausforderungen vorbereiteter Bereich“ – dass beides in puncto Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Gastronomie noch nicht ganz hundertprozentig der Fall ist, galt es hier aufzuzeigen und zu ergründen. Nicht als negativen Kritikpunkt, sondern als Resümee des bereits Geleisteten und als Vorausblick auf zu überwindende Hürden und zu nutzende Chancen für die Kooperation zwischen Produzent:innen und Gastbetrieben.

Nach dem Auftakt des Abends durch Projektleiterin Ghali Egger mit einer kurzen Einführung und Dank an alle Beteiligten erörterten Harald Gasser (Aspinger Raritäten), Michael Hofer (Bürgergenossenschaft Obervinschgau), Silke Raffeiner (Verbraucherzentrale Südtirol), Friedrich Steiner (Bio Hotel Panorama Mals) und Paul Tappeiner (Südt. Köcheverband) unter der Moderation von Evi Keifl und mit wertvollem Input aus dem Publikum den Status Quo der Landwirtschaft und Gastronomie und die Schwierigkeiten, aber auch bereits nutzbare Ressourcen dieser wertvollen Kooperation. Was sind Zielvorstellungen für die nächsten Jahre, auch im Hinblick auf den Klimawandel? Welche Möglichkeiten für den Schulterschluss zwischen Landwirtschaft und Gastronomie gibt es bereits? Welche Stolpersteine verhindern eine weitere Entwicklung?

Herausgestrichen wurde bald die notwendige Bereitschaft der Konsument:innen, auch für höherqualitative Produkte mehr zu bezahlen. Billigproduktion in zertfizierter Bioqualität ist schlicht nicht machbar. Gutes Storytelling, also Integration der „Geschichte“ hinter den Produzent:innen und ihrer Motivation oder Besonderheiten der Herstellung in die Vermarktung, kann hier große Pluspunkte bringen, braucht aber auch den richtigen Ansatz. Des Weiteren die herzliche Symbiose zwischen Köch:innen und Landwirt:innen; persönliches Vertrauen und Wertschätzung, aufeinander abgestimmte Bedürfnisse (Vielfalt der Lieferung auf der einen Seite, gelungene kreative Integration der Produkte in die angebotenen Speisen auf der anderen), all dies ist notwendig und ausbaufähig. Ein:e Köch:in, der/die vor Abnahme der Produkte einen Spaziergang über den Acker macht, ist zwar nicht immer zeitlich machbar, aber sollte kein bahnbrechendes Konzept darstellen, sondern falls möglich zum Alltag gehören.

 

 

Transportlösungen als wichtiger Schritt

 

Auch logistische Sorgen wurden angesprochen; kleinere Produzent:innen verfügen oft nicht über die nötigen Mittel und Gastro-Abnehmer:innen müssen Effizienz berücksichtigen, weswegen Plattformen zur Sammelbestellung und Nutzung von gebündelten Transporten Sinn machen. Hier gibt es z.B. ein Konzept der BGO in Zusammenarbeit mit der TBG (Tschenglsberg Genossenschaft): Um Synergien zu nutzen, hat man sich dazu entschlossen, die Lieferungen, welche die BGO und die TGB ohnehin bereits jede Woche machen, zusammenzuschließen; die geplante Einrichtung einer Online-Plattform und App wird es Privatkund:innen und Betrieben ermöglichen, die gesamte Produktpalette online zu bestellen. Gleichzeitig soll die Plattform es auch ermöglichen, den wöchentlichen Bestand an zum Verkauf stehenden Produkten mit dem Bedarf des Vertriebs abzugleichen. Teils fehlt es hier noch an Platz und Möglichkeit für die Zwischenlagerung, woran momentan gearbeitet wird.

Ähnliche Ziele verfolgt auch die SLON-App (Südtirol Logistik Netzwerk), die Transportkapazitäten bündelt und optimiert und u.a. auch branchenfremden Transportunternehmen die Möglichkeit gibt, Leerfahrten zu vermeiden und Produkte von kleineren Produzent:innen unkompliziert „mitzunehmen“, was zum einen die Vertriebslogistik für beide Seiten effizienter gestaltet, sich zum anderen aber auch positiv auf die CO2-Bilanz und Umweltbelastung auswirkt.

 

Es gibt noch einiges zu tun

 

Kritik wurde allerdings unter anderem auch angebracht: z.B. an den gesetzlichen Rahmenbedingungen. Herkunftstransparenz und Vorschriften sind lückenhaft, die Verantwortlichen agieren langsam und oft unter Einfluss von wirtschaftlich bessergestellten Großproduzent:innen. Regionalität ist noch eher cooles Marketing-Schlagwort des Tages als Gütesiegel. Ein Zuschauerbeitrag stellte hier „BIO FAIR SÜDTIROL“ vor, eine Initiative von Bioland Südtirol, welche in drei Stufen (Bronze/Silber/Gold) die Möglichkeit bietet, lokale Produkte zu verwenden und dafür entsprechend zertifiziert zu werden.  Doch ob bio oder nicht: Der Konkurrenzkampf mit Großhandelspreisen und -mengen ist für Kleinproduzent:innen oft nicht stemmbar. Hier braucht es weiteres Umdenken der Politik und Wirtschaft, um soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit für kleinere Betriebe und Höfe zu schaffen. Viele Produzent:innen müssen neben der Hofarbeit einem Zweiterwerb nachgehen, was den Anbau und die Produktion mehr zu einem teuren Hobby macht; auch hier könnte bessere Zusammenarbeit mit dem wirtschaftlichen Motor, den die rund 30 Mio. Nächtigungen im Jahr nun einmal darstellen, homogenere, gerechtere Bedingungen schaffen.

Nach Ende der Diskussionsrunde und Verabschiedung durch Ghali Egger, inkl. Körben gefüllt mit lokalen Produkten der anwesenden Marktstände für die Podiumsgäste, konnte Chefkoch Roland Hanny noch einmal bei einer weiteren Verkostung in der Culinary Craft Academy der BASIS begeistern. Kreationen wie Kräuterseitlinge, Heusuppen, Safran-Kartoffelteigtaschen, Paarlbrotnudeln oder Lammragout an Pastinaken mundeten ebenso vorzüglich wie Desserts aus Marteller Erdbeeren und Zabaione aus lokalen Freilandeiern.

 

 

Fazit:

 

Insgesamt war die Veranstaltung ein voller Erfolg und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer noch besseren Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft und Gastronomie bzw. Hotellerie, die in weiteren Projekten und Events noch verstärkt thematisiert und gefördert werden muss und wird. Ganz nach dem Sprichwort „tu Gutes und sprich darüber“ dürfen Produzent:innen die aktive Vermarktung von Hochqualitätsware als solche nicht scheuen, müssen aber dabei von der Gastronomie und den Verantwortungsträger:innen im Land unterstützt werden. Bleiben wir gespannt, wie sich dies mittel- und langfristig entwickeln wird!

 

Gastronomie, Landwirtschaft, lokale Wirtschaft, Nachhaltigkeit
28.10.2023
Ben Ratschiller